Handgriffe. Zur Bedeutung von Hand und Werkzeug für die Heilberufe

Handgriffe. Zur Bedeutung von Hand und Werkzeug für die Heilberufe

Veranstalter
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt; Institut für Geschichte der Medizin, Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck; Verein für Sozialgeschichte der Medizin (Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt)
Ausrichter
Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
Veranstaltungsort
Anatomiestraße 18-20
PLZ
85047
Ort
Ingolstadt
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.09.2024 - 13.09.2024
Deadline
15.04.2024
Von
Marina Hilber, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Jahrestagung 2024 des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin –
Geschichte(n) von Gesundheit und Krankheit

Handgriffe. Zur Bedeutung von Hand und Werkzeug für die Heilberufe

Die Hand gilt als das wichtigste Werkzeug des Menschen. Mit den Händen erzeugen und erschaffen wir Dinge, nehmen sie bei der täglichen Kommunikation zu Hilfe und vertiefen damit auch Beziehungen. Das Handauflegen gilt als rituelle Handlung, der Handschlag als rechtskräftige Geste. Kurz gesagt: Mit den Händen erfassen und begreifen wir die Welt. Möglich werden diese vielfältigen Funktionen durch das fein abgestimmte Zusammenspiel von Knochen, Sehnen, Nerven, Bändern und Gelenken.

Aufgrund dieser Komplexität und Multifunktionalität besitzt die Beschäftigung mit der Hand als Werkzeug des Menschen eine lange Tradition. Zahlreiche religiöse, philosophische, medizinische und anthropologische Texte befassten und befassen sich mit diesem besonderen Teil des Körpers. In den letzten Jahren interessierte sich auch die Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin vermehrt für die Hand und deren Möglichkeiten. So beleuchtete der 2010 von Mariacarla Gadebusch Bondio herausgegebene Tagungsband „Die Hand. Elemente einer Medizin- und Kulturgeschichte“ das Sprechen über die Hand in verschiedenen Wissenschaftsdiskursen von der Antike bis in die Gegenwart. 2019 versammelten Robert Jütte und Romedio Schmitz-Esser im Band „Handgebrauch. Geschichten von der Hand aus dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit“ Beiträge zur kulturellen Bedeutung der menschlichen Hand in der Vormoderne. Auch Museen bereiteten das Thema Handgriffe und Werkzeug für eine breitere Öffentlichkeit auf, etwa die niederösterreichische Schallaburg in ihrer Sonderausstellung „Der Hände Werk“ (2019) oder das Germanische Nationalmuseum bei der Neugestaltung des Themenbereichs „Handwerk und Medizin“ (2022).

In der Medizin (und der Medizingeschichte) dienten die Hand, die damit eingeübten Fertigkeiten und der manuelle Gebrauch von Instrumenten oder Gerätschaften als Ausgangspunkte diverser Grenzziehungen. So wurde in der Frühen Neuzeit die Chirurgie in Abgrenzung zur akademischen Medizin dezidiert als Handwerk verstanden, dem allein die Behandlung von Wunden und „äußerer“ Verletzungen sowie das Einrichten von Verrenkungen und Brüchen zustand, für die der Wundarzt „Hand anlegen” musste. Zedlers Universallexikon beschreibt 1751 unter dem Eintrag „Wund=Arzeney=Kunst, Chirurgie“ dieselbe daher als „Hand-Arbeit, das ist, eine medicinische Hülffe, die mit der Hand geschiehet“ (Bd. 59, Sp. 1442), und der „Wund-Arzt“ ist laut Zedler „ein in der Chirurgie erfahrener Mann, welcher mit Instrumenten und seinen Händen an dem menschlichen Cörper würcket“ (Bd. 59, Sp. 1490). Der akademische, an einer Universität ausgebildete Medicus hingegen war für Leiden zuständig, die durch erkrankte Säfte im Körperinneren entstanden waren. Das Praktizieren der „inneren“ Medizin bedeutete jedoch nicht, dass studierte Ärzte nicht auch den Körper gezielt befühlt und abgetastet hätten. Nicht umsonst wurde, entsprechend unserem „grünen Daumen“ bei Pflanzen, das Geschick eines erfolgreichen Heilkundigen professionenübergreifend als „manus medica“ bezeichnet.

Wie bei jedem Handwerksberuf erfordert das Beherrschen der richtigen Handgriffe und Instrumente auch bei Heilpersonen heute wie damals spezifische Fertigkeiten und praktische Fähigkeiten, die meist durch jahrelange Übung erworben und hierdurch zu einem stetig abrufbaren (Körper-)Wissen werden. Dieses internalisierte Wissen um das „Handwerkszeug” und dessen richtigen Einsatz zeichnet alle Heilberufe aus: Die Hebamme muss die Handgriffe bei der Entbindung ebenso beherrschen wie das Pflegepersonal das beidhändige Agieren beim Unterschieben und Entnehmen einer Bettpfanne, Physiotherapeut:innen die manuelle Anleitung von Körperübungen oder Masseur:innen die Lockerung von Verspannungen. In der modernen, computergestützten Operationstechnik wird der Roboterarm zur verlängerten Hand der Chirurg:innen, deren handwerkliches Geschick nun eher in der routinierten Bedienung eines Joysticks anstelle eines Skalpells liegt. Auch nicht formal ausgebildete Heilpersonen müssen jene Handgriffe beherrschen, mit denen sie ihrer Klientel Linderung verschaffen. Dies trifft auf das Handauflegen ebenso zu wie auf mit Händen arbeitende Magnetiseure und Hypnotiseure.

Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Hand und Werkzeug für die unterschiedlichen Heilberufe bietet demnach vielfältige Anknüpfungspunkte für die Medizingeschichte. Wir freuen uns über Vortragseinreichungen zu den skizzierten, aber auch zu hier unerwähnt gebliebenen Aspekten des Tagungsthemas. Besonders willkommen sind Beiträge zu selten beforschten Zeiträumen und nicht-akademischen Heilberufen. Denkbar sind folgende thematische Schwerpunkte:

1) Das Hand-Werk: Wie werden im jeweiligen Heilberuf die spezifischen Handgriffe vermittelt und eingeübt? Welche Kriterien werden entwickelt, um das Beherrschen der Hände zu (über-)prüfen, und mit welchen Strategien in Bezug auf den kundigen Gebrauch von Händen und Instrumenten wird das eigene „Handwerk” geschützt? Mit welchen Argumenten werden Konkurrent:innen am medikalen Markt ins Abseits gedrängt, und wie werden die Vorwürfe, sie würden ihr „Handwerk” nicht beherrschen bzw. ihre Hände mißbräuchlich verwenden, argumentativ formuliert?
2) Das Handwerkszeug: Welche Anforderungen muss ein Instrument, ein Pflegeding, ein komplexes Gerät der Medizintechnik besitzen, damit es „gut in der Hand” liegt? Werden Erfindungen verworfen, weil sie zwar theoretisch gut ausgedacht, aber nicht „handhabbar” sind? Wie verläuft der Wissensaustausch zwischen Herstellern / Instrumentenmachern und Nutzer:innen?
3) Die Handwerker:innen: Werden bestimmte Gesten, Handhaltungen u.ä. eindeutig bestimmten Heilberufen zugeordnet? Werden spezielle Handgriffe und Handwerkszeuge geschlechtlich konnotiert? Gibt es Diskurse über weibliche und männliche „Hände” und deren spezifischen „Einsatzmöglichkeiten”? Wer lässt sich von wem „behandeln” – oder nicht?
4) Der Be-Handlungsraum als „Werkstatt”: Wie wird das „Handwerkszeug” räumlich geordnet, verwahrt, griffbereit und sauber gehalten, transportiert etc., sei es in der Wundarztstube, in der Arztpraxis, im OP oder im Schwesternzimmer? Wie wird das im jeweiligen „Behandlungsraum” generierte Wissen um die „richtigen Handgriffe” schriftlich festgehalten und von Generation zu Generation weitergegeben? Werden derartige Handreichungen innerhalb von Heilerdynastien bearbeitet und aktualisiert?
5) Die Hand-Forschung: Mit welchem Blick betrachteten Anatomie und Physiologie die menschlichen Hände? Wie gelangte man zum Wissen über den Aufbau und die Funktionsweise der Hand? Wie floss dieses Wissen in die Konstruktion von „Ersatzhänden” ein? Welche Diskurse gab es über spezifische Fähigkeiten der menschlichen Hand?
6) Die Handwerks-Kunst: Mit welchen Inszenierungen der Hände rücken sich die verschiedenen Heilberufe ins rechte Bild? Mit welchen Instrumenten, Gesten und Haltungen der Hände lassen sich Heilpersonen abbilden? Welche „Behandlungen” werden in Kunstwerken verhandelt?

Bitte senden Sie Vorschläge für Einzelvorträge mit Abstracts im Umfang von ca. 2.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bis zum 15. April 2024 an: dmm@ingolstadt.de (bitte als Betreff angeben: „Tagung 2024: Handgriffe“).

Tagungssprache: Deutsch

Tagungsmodus: Die Tagung wird in Präsenz abgehalten, eine virtuelle Teilnahme ist nicht möglich.

Rahmenprogramm: Der öffentliche Abendvortrag findet im Neuen Schloss (Bayerisches Armeemuseum) statt. Es spricht Prof. Thomas Schnalke (Direktor a.D. des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité).

Die eingegangenen Vorschläge werden vom Organisationsteam begutachtet und alle Einreicher:innen bis 1. Mai 2024 über eine Annahme oder Absage informiert.

Die Tagungsgebühr beträgt 100 Euro, für Mitglieder des Vereins für Sozialgeschichte der Medizin 75 Euro, und deckt anfallende Kosten für Tagungsunterlagen, Museumseintritt, Abendessen sowie Getränke und Imbisse in den Kaffeepausen ab. Studierende und Personen mit geringem Einkommen können bei der Tagungsleitung den Erlass der Tagungskosten beantragen.

Die Referent:innen werden im Anschluss an die Tagung eingeladen, eine schriftliche Fassung ihres Vortrags zur Veröffentlichung in einem themenspezifischen Band der vom Verein für Sozialgeschichte der Medizin herausgegebenen Zeitschrift „VIRUS. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin“ einzureichen. Die Zeitschrift ist durch peer-review qualitätskontrolliert und erscheint jährlich im Print sowie online als Open-Access-Journal.

Veranstalter:innen:
Marina Hilber, Marion Ruisinger, Sabine Schlegelmilch, Alois Unterkircher

Kontakt

dmm@ingolstadt.de (bitte als Betreff angeben: „Tagung 2024: Handgriffe“)

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